Von:                                            Karl-Heinz Wollert <info@wolli-online.de>

Gesendet:                                16 April 2020 18:53

Betreff:                                     Bericht aus dem Lockdown

 

Hallo zusammen,

nach drei Wochen Lockdown möchte ich mal einen Update geben wie es sich bei uns entwickelt. Wir haben ja alle unter dem Virus zu leiden, aber als wir Ostern die deutschen Nachrichten gesehen haben, waren wir schon etwas neidisch. Nicht auf das schöne Wetter, das haben wir ja auch, sondern auf die Spaziergänger in Parks und am Flussufer. Wir dürfen ja nur auf direktem Weg zum nächstgelegenen Supermarkt raus. Wir haben uns trotzdem heimlich rausgeschlichen und haben am Strand vorbeigeschaut und da sah es so aus:

 

 

Normalerweise ist es an einem langen Wochenende pickepackevoll. Das wird auch wohl noch eine Weile so bleiben, denn der Lockdown ist um 2 Wochen verlängert worden. Ich fürchte, das wird nicht reichen, denn obwohl die Regierung sehr früh Maßnahmen ergriffen hat, erhöhen sich die Infektionen wieder, da das Virus erst verzögert in die Townships gekommen ist. Es sind 10 000 Helfer engagiert worden, die dort von Tür zu Tür gehen und die Leute auf Symptome untersuchen, aber viele verweigern einen Test, da sie befürchten stigmatisiert und somit von der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, also wie bei Aids. Außerdem hält sich niemand an die Regeln. Bei uns natürlich schon, selbst die Hundebesitzer, die ja nicht Gassi gehen dürfen. Leider, denn langsam ist der Vorgarten voll und sie öffnen einfach das Gartentor und lassen die Hunde auf der Straße laufen. Jetzt sind alle Gehwege vollgeschissen. Ist ja jetzt kein Problem, aber irgendwann braucht man die ja wieder. Ansonsten sind wir gut versorgt, die Läden sind voll, vor allem mit Klopapier. Das stapelt sich bis unter die Decke, aber keiner kauft es, weil ja alle gehamstert haben. Südafrika ist nach Schweden und Kanada der drittgrößte Papierhersteller und exportiert Klopapier, aber jetzt hat man die ganze Exportware in die Läden gestopft. Natürlich fehlt einem manches, wir können zwar online bestellen, was wir wollen, aber ausgeliefert wird erst nach dem Lockdown, weil ja auch alle Kurierdienste die Arbeit eingestellt haben. Wir können auch kein fertiges Essen bestellen oder kaufen, da müssen dann die Kochkünste aktiviert werden oder die Küche bleibt kalt. Aber uns geht es ja noch gut, schlimmer ist die Lage in den Townships für die Geringverdiener aus dem informellen Sektor, die jetzt keinerlei Verdienstmöglichkeiten haben und auch von keinem sozialen Netz aufgefangen werden. Die hungern jetzt und obwohl es viele Privatinitiativen gibt, die sie mit Lebensmitteln versorgen, reicht es nicht. Die Regierung verteilt Essenspakete, aber so wenige, dass die Leute sich darum schlagen und es gab auch schon die ersten Unruhen. Die Leute gehen auf die Straße, verbrennen Reifen, zerstören öffentliche Eirichtungen und bewerfen die Polizei mit Steinen. Diese wiederum schlagen mit Gummigeschossen zurück. Das ist natürlich alles nicht hilfreich. Ein weiteres Problem ist die Versorgung von abgelegenen Gegenden, auch dort hungern die Menschen. Deshalb haben sich private Hubschrauberbesitzer zusammengetan und versorgen diese Gegenden mit Essenpaketen auf eigene Kosten. Gut, ein Hubschrauberbesitzer gehört sicher nicht zu den Ärmsten, aber es geht ja um die Solidarität und die ist hier sehr hoch.

 

Was sich auch langsam zum Problem entwickelt ist das Verbot von alkoholischen Getränken und Zigaretten. Wobei es sich mir nicht erschließt, wie Nichtrauchen die Verbreitung des Virus verhindert, es verhindert nur Steuereinnahmen in Höhe von 2 Millionen € täglich. Es blüht der illegale Handel. Selbst Nichtraucher haben sich einen Zigarettenvorrat angelegt, welchen sie jetzt als Zahlungsmittel verwenden. So gibt es für drei Schachteln Zigaretten eine Flasche Wein. In den Townships sind die Getränkeläden aufgebrochen und geplündert worden, aber auch das geht langsam zu Ende. Ganz Verzweifelte nehmen sogar Spiritus, filtern es durch eine Scheibe Weißbrot und trinken es dann. Das kann ja auch nicht gesund sein. Für die Besserverdienenden gibt es eine andere Möglichkeit. Bei uns ist die Filmindustrie ja stark vertreten und die verfügen über professionelle Dronen mit einer Reichweite von 7 km und der Tragkraft für eine schwere Kamera. Mit diesen Dronen werden die Kunden mit alkoholischen Getränken beliefert. Das hat natürlich seinen Preis. Eine Flasche Wein, die im Laden sonst 50 Rand kostet, kostet jetzt 300. Das Ganze basiert auf Vertrauen. Der Kunde gibt dem Dronen-Pilot seine Kreditkartendaten und verpflichtet sich, dass er, falls der Dronen-Pilot erwischt wird, die Kaution für ihn bezahlt. Tja, Not macht eben erfinderisch.

 

Apropos Not. Wenn „Shit happens“, dann ja immer zur Unzeit, wie Zahnschmerzen zur Weihnachtszeit. Ich benutze als Typ 1 Diabetiker eine Insulinpumpe, die langsam in die Jahre gekommen war und schon ein paar Macken hatte. Darum habe ich bei der Krankenkasse eine neue beantragt und da sie nicht zu den Regelleistungen gehört, muss eine Kommission darüber entscheiden. Die arbeitet aber wegen dem Lockdown auf Sparflamme und darum ist der Antrag erstmal liegen geblieben. Nun ist die Pumpe komplett verreckt und ich brauchte sofort Ersatz. Mein betreuender Arzt hat aber keine normale Praxis, sondern es ist eine Firma, die für die Pharmaindustrie klinische Tests durchführt und nebenbei Pumpenzentrum ist. Die hatten auch geschlossen. Ich habe daher die Vertreterin der Herstellerfirma in Johannesburg angerufen, die mir auch nicht helfen konnte, weil sie mir ja keine Pumpe schicken kann. Aber sie hatte die Privatnummer einer Mitarbeiterin der Firma, die ich angerufen habe und wir sind dann in die Firma eingebrochen und haben die Demo-Pumpe entwendet. So macht der Lockdown uns alle zu Kriminellen.

 

Wir hoffen, dass sich bald alles normalisiert. Nicht, dass wir noch den Spiritus filtern müssen. In Deutschland geht es ja langsam aufwärts, was sicher auch eurer Disziplin zu verdanken ist, da könnt ihr stolz drauf sein.

 

So, das war jetzt etwas lang, aber dann hat man im Homeoffice auch was zu lesen.

 

Bis demnächst, bleibt gesund und viele liebe Grüße vom Lockdown-Kap

 

Dagmar & Karl-Heinz Wollert

 

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