Von:                                            Karl-Heinz Wollert <info@wolli-online.de>

Gesendet:                                15 May 2020 13:13

Betreff:                                     Neues aus Absurdistan

 

Hallo zusammen,

Wir hoffen, es geht euch allen gut. Uns geht es gesundheitlich gut, allerdings ist die Psyche schon etwas angeschlagen, denn wir sind schon die siebente Woche im Hausarrest. Während es in Europa ja aufwärts geht, stehen wir noch ziemlich am Anfang der Pandemie. Das ist auch kein Wunder, denn das Virus verbreitet sich jetzt in den Townships, wo Abstandhaltung und Hygiene kaum möglich sind. Die Regierung, die anfangs vorbildlich reagiert hat, scheint zunehmend überfordert. Der Präsident hat die Kontrolle über seine Minister verloren, die ihre feuchten Träume ausleben und jede Menge Verbote erlassen, ohne auf die Verfassung achten zu müssen. Das führt zu völlig absurden Entscheidungen. So hat uns der Präsident versprochen, dass nach 5 Wochen der Zigarettenbann aufgehoben wird, doch in letzter Minute hat die Ministerin Zuma (eine ex-Frau des früheren Präsidenten und Raucher-Kritikerin) die Entscheidung gekippt und Zigaretten auf unbestimmte Zeit verboten. Daraufhin hat die Zigarettenindustrie die Gründe wissen wollen, worauf die Zuma geantwortet hat, dass die Kriterien geheim sind, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen. Das hat großen Unmut hervorgerufen, nicht nur bei den Rauchern, sondern auch bei den meisten solidarischen Nichtrauchern. Wobei es hier nicht so sehr um die Sache geht, sondern um die Glaubwürdigkeit.

 

Es gibt allerding ein paar Erleichterungen. So dürfen wir jetzt zum Joggen rausgehen, aber nur von 6 bis 9 am Morgen und nur im Umkreis von 5km von der Wohnung. Nun wird es aber erst um halb acht hell und vorher besteht durch Dunkelheit und herbstlichen Morgennebel nicht die erforderliche Sichtweite von mindestens 1,5 m, daher knubbelt sich alles in den verbleibenden 1,5 Stunden auf der Strandpromenade, was auch noch dadurch verschlimmert wird, dass man nicht im Sand und nicht auf dem Rasen laufen darf, sondern nur auf dem Gehweg, was strengstens von der Polizei kontrolliert wird. Das hat zu folgender Situation in Muizenberg geführt (vielleicht habt ihr mal ein Bild von dem Strand mit den bunten Umkleidehäuschen gesehen): Eine Familie mit einem Kleinkind ist zum Strand gekommen und das Kind ist auf den Sand gerannt, der Vater ist sofort hinterher, um das Kind wieder einzufangen. Er ist sofort verhaftet worden und im Knast gelandet. Ein Surfer war auch noch unterwegs, da ist die Polizei ins Wasser gefahren und hat ihn von der Welle gepflückt. Das alles sind nicht unbedingt vertrauensbildende Maßnahmen. Es gibt jetzt auch noch eine zusätzliche Ausgangssperre von 19 bis 5 Uhr, wobei sich mir der Sinn nicht erschließt wenn man fast den ganzen Tag im Hausarrest ist und nur zum Einkaufen raus darf. Aber das war eine Entscheidung des Verkehrsministers, der wollte auch mal was verbieten.

 

Es haben jetzt auch mehr Geschäfte auf, man kann allerdings nicht alles kaufen. Im Möbelladen kann man zwar kein Sofa kaufen, dafür aber ein Bett, aber nicht das Kopfteil, denn das Bett ist lebensnotwendig, das Kopfteil aber nur Dekoration, darum kann man auch keine Gardinen kaufen. Im Bekleidungsgeschäft kann man nur Kleidung mit einem wärmenden Effekt kaufen, allerdings auch T-Shirts, aber nur wenn sie lange Ärmel haben. Im Schuhgeschäft kann man nur geschlossene Schuhe kaufen, aber keine Flip-Flops und keine Sandalen. Wahrscheinlich befürchtet man, dass die Leute herunterschauen, dabei ihre ungepflegten Zehen entdecken und dann das Verlangen nach einer Pediküre und vielleicht einem neuen Haarschnitt usw. usw. entsteht, aber ach, das geht ja auch nicht, es hat ja alles geschlossen. Selber machen ist auch schwierig, im Drogeriemarkt kann man zwar eine Nagelfeile kaufen, aber keinen Nagellack. Man kann auch Rasierwasser kaufen, aber kein Parfüm. Die Online-Shops dürfen jetzt auch liefern, aber nicht alles. So habe ich eine Heizdecke, ein Rasierapparat und ein Blitzgerät bestellt. Die Heizdecke und den Rasierapparat habe ich sofort bekommen, aber das Blitzgerät bekomme ich wahrscheinlich erst nach dem Höhepunkt der Pandemie, also vielleicht im September, weil ein Blitz das Virus… ach, ich weiß es doch auch nicht. Das ist Absurdistan in Reinkultur.

 

Das ist ja alles noch ganz lustig, aber der Wahnsinn hat auch ernsthafte Auswirkungen. Die Schulen sind ja alle geschlossen und somit ist auch die Schulspeisung weggefallen. Die meisten Kinder in den Townships bekommen nun keine warme Mahlzeit mehr. Daraufhin haben Privatpersonen Suppenküchen eröffnet, die sie selbst oder über Spenden finanziert haben. Die sind alle verhaftet worden, da die Ausgabe von warmen Speisen verboten ist. Das Argument ist, dass dann die Menschen unkontrolliert zusammenkommen und somit das Virus verbreitet wird. Darum gibt der Staat Essenspakete aus und es obliegt den Bürgermeistern, diese zu verteilen. Diese verteilen die Pakete aber an Familie und Freunde oder verkaufen sie und es kommt nichts bei den Bedürftigen an. Das hat der Staat auch erkannt und zahlt jetzt eine Corona-Hilfe aus an Tagelöhner, Kleinhändler und Haushaltshilfen, die kein Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe bekommen, in Höhe von 350 Rand pro Monat, das sind umgerechnet nicht mal 20 €, damit kommt man nicht sehr weit. Eine große Hilfe ist allerdings die Hilfsorganisation „Gift of the givers“, die bei Katastrophen in ganz Afrika hilft, bei Dürren Brunnen baut und Tanks aufstellt und jetzt eben Essenspakete in großer Anzahl verteilt. Es ist eine muslemische Organisation und da jeder Moslem nach der Sharia ein Teil seines Einkommens für wohltätige Zwecke spenden muss, sind sie finanziell gut aufgestellt. Ohne diese Hilfe hätten wir wahrscheinlich mehr Hunger- als Corona-Tote.

 

Für die Gastronomie wollte man auch Erleichterungen schaffen. Es darf jetzt fertiges Essen geliefert werden. Man darf es aber nicht selbst abholen und die Wirte dürfen es nicht selber liefern, sondern müssen einen Lieferdienst einschalten. Es macht aber kaum jemand mit, denn es lohnt sich nicht für die paar Essen eine Küche zu betreiben und der Lieferdienst verteuert auch noch das Ganze. Das Hauptargument ist aber, dass sich die Qualität durch die Lieferung verschlechtert und sie um ihren guten Ruf fürchten. Darum machen auch nur ein paar Fast-Food Ketten wie McDonalds mit die schon von Haus aus Müll herstellen, das kann auch nicht schlechter werden.

 

Man weiß ja nicht, wie sich alles entwickelt. Wir wollten im Juli eigentlich nach Deutschland kommen und es ist schon alles gebucht, aber es steht in den Sternen, ob wir hier überhaupt wegkommen. Wir können es erst 5 Tage vor Abflug erfahren und so könne wir nur abwarten. Das ist ja das Schlimme, dass man so machtlos ist. Wenn ich wenigstens Verschwörungstheoretiker wäre könnte ich jemandem die Schuld geben, aber so…

 

So, genug gejammert. Wir würden ja gerne auf eine bessere Zukunft einen trinken, aber Alkohol ist ja immer noch verboten.

 

Also bleibt gesund, bis demnächst und viele Grüße aus Absurdistan

 

Dagmar & Karl-Heinz Wollert

 

43 Mountain Fern Crescent

Fernwood Estate

Somerset West, 7130

South Africa

+27(0)21-8522494 Landline

+27(0)713537196 Mobil